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Das Matscheko-Memorandum vom Juni 1914 und seine Bedeutung für die frühen Entscheidungen in der Julikrise

PD Dr. Jürgen Angelow

Das Matscheko Memorandum ist ein Schlüsseldokument der Julikrise von 1914. Es liegt in einer undatierten Abschrift vor, seine Vorgeschichte und Entstehung lassen sich jedoch genau rekonstruieren. Am 24. Juni 1914, vier Tage vor dem Attentat von Sarajewo, wurde es finalisiert. Sein Autor war der Sektionsrat im k. u. k. Außenministerium Franz von Matscheko.

Dem Memorandum gingen seit August 1913 einige Denkschriften voraus, in denen die österreichisch-ungarische Herrschaftselite das Ziel verfolgte, nach dem 2. Balkankrieg die Position der Monarchie auf dem Balkan zu stabilisieren, eine Klärung der Verhältnisse herbeizuführen und sich hierfür die Rückendeckung des deutschen Bündnispartners zu sichern. Dieser Gedanke war auch für das Matscheko Memorandum maßgeblich. Es ist somit Ausdruck für jene ambivalente außenpolitische Strategie der Habsburgermonarchie, die bis zum Attentat am 28. Juni 1914 währte und sowohl friedliche wie kriegerische Optionen einschloss. Während Wien eine Aktualisierung seines Verhältnisses zu Rumänien anstrebte und, falls das alte Bündnis fortbestehen würde, sogar eine Normalisierung seiner Beziehungen zu Serbien, zog es doch auch eine Neuorientierung zugunsten Bulgariens in Betracht, falls sich die rumänisch-serbische Variante nicht mehr als tragfähig erweisen sollte. Mit dem Attentat wurden diese Gedanken obsolet, Serbien schied nunmehr als Gegenstand einer möglichen Annäherung aus und wurde zum Objekt der österreichisch-ungarischen Gewaltdisposition. Die ursprüngliche Reinschrift des Memorandums wurde bis zum 2. Juli umgeschrieben und inhaltlich verändert. Diese Variante ist in die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 sowie die Quellenveröffentlichung zur Österreichisch-ungarischen Außenpolitik eingegangen und auf den 5. Juli 1914 datiert. Nunmehr orientierte es auf einen Bündniswechsel zugunsten Bulgariens, der Herstellung von Bündnisbeziehungen zwischen Bulgarien und der Türkei sowie dem engsten Einvernehmen zwischen Wien und Berlin, die einer Neuordnung des Balkans vorausgehen sollten. Eine Aussprache mit Rumänien war nicht mehr vorgesehen.

In dieser umgearbeiteten Form wurde das Matscheko Memorandum, in Verbindung mit einem Handschreiben Kaiser Franz Josephs I an Wilhelm II., Grundlage jener Beratungen in Berlin und Potsdam vom 5. Und 6. Juli 1914, die der Kabinettschef des k. u. k. Außenministeriums, Alexander Graf Hoyos, sowie der österreichisch-ungarische Botschafter in Berlin, Ladislaus von Szögyény, mit Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann, Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg führten. Das Memorandum wurde instrumentalisiert, weitgehende Zusagen von der deutschen Seite mit dem Ziel zu erhalten, eine Klärung des Verhältnisses zu Serbien herbeizuführen. Doch es hat die deutsche Seite vor allem desorientiert. Wollte Wien eine kurzfristige Strafaktion gegen Serbien oder einen regulären Krieg, dem ja der Bündniswechsel vorausgehen würde. Und war ein Krieg gegen Serbien, angesichts der damit verbundenen Voraussetzungen überhaupt noch realistisch? Die Eindeutigkeit, mit der die Wirkungsgeschichte des Matscheko Memorandums in der Forschung bisher bewertet worden ist, soll im Vortrag hinterfragt werden.